Schritt für Schritt zur digitalen Transformation
SCHREINER DIGITAL SOLUTIONS
Schritt für Schritt zur digitalen Transformation
Wie die Umsetzung von ersten digitalen Projekten im Mittelstand gelingen kann
Der deutsche Mittelstand ist im internationalen Vergleich sehr erfolgreich. Er setzt vor allem auf die etablierten Erfolgsfaktoren: Innovationskraft, qualitativ hervorragende Produkte, bewährte langjährige Kundenbeziehungen und sehr gut ausgebildete Mitarbeiter. Doch in Zeiten hoher Dynamik und rascher technologischer Veränderungen reichen diese Faktoren kaum aus, um langfristige Unternehmenserfolge zu sichern. Als Schlüssel zur Sicherung der Zukunftsfähigkeit gilt die digitale Transformation. Sie bietet vielfältige Möglichkeiten, bestehende Säulen des Erfolgs zu stärken und neue Säulen zu errichten.
Ein Unternehmen „digital zu transformieren“ bedeutet, Wege zu finden und Lösungen zu implementieren, die bestehende Arbeitsprozesse vereinfachen, optimieren und effizienter gestalten. Das übergeordnete Ziel der digitalen Transformation aus Unternehmenssicht ist dabei der Erhalt bzw. der Ausbau der Wettbewerbsfähigkeit. Doch wie gehen Unternehmen dieses Thema an?
Der Erfahrungsbericht beschreibt, wie Schritt für Schritt der Weg eines mittelständischen Unternehmens in die Digitalisierung gelingen kann, ohne sich und seine Mitarbeiter zu überfordern. Eingeflossen sind hierbei eigene Erkenntnisse und Erfahrungen der Schreiner Group – ein deutsches, mittelständisches, inhabergeführtes Unternehmen, das mit ca. 1.200 Mitarbeitern und Produktionsstandorten in Deutschland, USA und China als globaler Qualitäts- und Innovationsführer seiner Branche gilt. Für digitale Technologien wurde ein eigener Fachbereich geschaffen – das Competence Center „Schreiner Digital Solutions“ – in dem die entsprechenden Lösungsansätze auf Eignung und Verwertbarkeit geprüft und für das eigene Unternehmen sowie seine Kunden nutzbar gemacht werden.
Der praxisorientierte Leitfaden bietet damit anderen Unternehmen ähnlicher Größe und Struktur einen Orientierungsrahmen für eigene Aktivitäten auf dem Weg in die digitale Transformation.
1. Die Vorbereitung
1.1. Digitalen Reifegrad bestimmen und Stakeholder involvieren
Der Startpunkt für die digitale Transformation eines Unternehmens muss keine präzise formulierte Digitalisierungsstrategie sein, in der festgelegt ist, welche Ziele erreicht und Nutzen erbracht werden sollen. Je nach „digitalem Reifegrad“ eines Unternehmens kann das der zweite oder dritte Schritt sein. Doch mit fortgeschrittenem „digitalen Reifegrad“ kommt jedes Unternehmen an den Punkt, an dem eine Digitalisierungsstrategie erforderlich wird. Unverzichtbar als erster Schritt ist jedoch die Abstimmung mit der Unternehmensführung und allen beteiligten Stakeholdern. Da digitale Transformation immer mit Veränderungen zu tun hat, sollten alle Parteien von Anfang an abgeholt und eingebunden werden.
1.2. Mit Leuchtturmprojekten eigene Potenziale erkennen
Im ersten Schritt macht es Sinn, einen Use Case im Unternehmen oder in der Zusammenarbeit mit einem Kunden und Lieferanten zu definieren und umzusetzen. Leuchtturmprojekte helfen, die Möglichkeiten der Digitalisierung aufzuzeigen und den nötigen „digitalen Spirit“ für mehr Akzeptanz im eigenen Unternehmen zu entfachen. Zudem dienen sie vielfach als Blaupausen für weitere digitale Projekte. Ein guter Ansatz für „digitale Leuchtturmprojekte“ sind deshalb Lösungen innerhalb des Unternehmens, die auf den eigenen Produkten basieren.
Aus der Praxis
Die Schreiner Group hat dies sehr erfolgreich mit ihren RFID-Windshield-Etiketten demonstriert, welche den Mitarbeitern die Zufahrt zu den firmeneigenen Parkhäusern in der Zentrale in Oberschleißheim mittels automatischer Fahrzeugidentifikation ermöglichen. Über solche Projekte, die für Viele einen direkt erlebbaren hohen Nutzen haben und ohne hohes finanzielles Risiko realisierbar sind, entstand im Unternehmen Begeisterung und Zutrauen in das Competence Center.
2. Technologien und Werkzeuge
Neue Technologien und Werkzeuge sollten schrittweise eingeführt und das Projekt in entsprechende Stufen unterteilt werden. So kann in jeder Stufe die Umsetzung und Handhabung von Technologie und Tools verstanden werden. Mögliche Fehler können eindeutig zugeordnet und somit einfacher behoben werden.
Egal ob Cloud, Big Data, Künstliche Intelligenz (KI), Blockchain, Virtual Reality, Augmented Reality oder 3D-Druck neu im Unternehmen eingesetzt werden soll: Der Umgang mit der Technologie sollte an Hand einer kleinen Demo oder eines Prototyps aufgezeigt werden. So können Vor- und Nachteile sichtbar gemacht werden. Zudem wecken sie die Neugier und beugen einer möglichen Überforderung der Organisation vor. Ziel ist es hierbei, dass sich die Experten in der Fachabteilung mit neuen, potentiell relevanten Technologien vertraut machen können.
Im nächsten Schritt kann im Rahmen von Schulungen abteilungsübergreifend mit ausgewählten Personengruppen – und im nächsten Schritt mit Kunden – ein Bewusstsein für die Möglichkeiten und Grenzen der neuen Technologie geschaffen werden. Ist ein gemeinsames Verständnis zu einer Technologie erreicht, können Use Cases erarbeitet, bewertet und umgesetzt werden.
Aus der Praxis
Für die Schreiner Group zählen insbesondere Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR), Künstliche Intelligenz (KI) und Blockchain zu den potentiell relevanten Technologien. Entsprechend wurden einige AR-Use Cases erarbeitet, ein erster befindet sich aktuell in der Umsetzung.
Anhand eines Prototyps konnte ebenfalls mittels KI-basierter Bilderkennungstechnologie die Originalität eines auf ein Etikett gedruckten Sicherheitsmerkmals mit einer über 99 prozentigen Zuverlässigkeit erkannt werden.
3. Normen und Richtlinien
Bedeutend bei der Umsetzung digitaler Projekte sind Standardisierungen und die Einhaltung von Normen. Welche Standards und Normen relevant sind, hängt davon ab, welche Prozesse betroffen sind, wie die Daten ausgetauscht werden und wer an dem Prozess beteiligt oder darin involviert ist. So spielt beispielsweise in Europa bei Kundenprozessen und -daten die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) eine wichtige Rolle. Empfehlungen für die Informationssicherheit finden sich in der ISO/IEC 27002 (bis 1. Juli 2007: ISO/IEC 17799) wieder.
4. Zusammenarbeit als Erfolgsfaktor
Die Zusammenarbeit mit externen Partnern stellt einen weiteren Erfolgsfaktor dar, denn über sie gelangt neues Know-how ins Unternehmen. Existierende Lösungen können optimal genutzt und schnell in die eigenen Planungen integriert werden. Damit lässt sich bei der Entwicklung viel Zeit sparen.
4.1. Zusammenarbeit mit Einrichtungen und Verbänden
Eine gute Anlaufstelle für mittelständische Unternehmen bei den ersten Schritten in die Digitalisierung sind die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) initiierten Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren(1). Sie zeigen typische Anwendungsfälle aus der Praxis auf, um mit relativ kleinen digitalen Projekten große Vorteile erreichen. Zudem fördern sie die digitale Kompetenz durch Webinare, unterstützen mit Infoveranstaltungen, Expertennetzwerken und durch kostenlose Potenzialanalysen, sofern eine Idee für ein digitales Projekt vorhanden ist.
Ebenso vom BMWi sowie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) initiiert ist das Transfernetzwerk Industrie 4.0(2). Es richtet sich explizit an den Mittelstand und bietet ein Forum für den Austausch, die Vernetzung und die gegenseitige Unterstützung bei digitalen Themen.
Verschiedene Webinare zum Thema Digitalisierung bietet auch das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO(3) an. Darüber hinaus werden auf der Website ausführliche Berichte von Kundenprojekten zum Download angeboten sowie konkrete Leistungsangebote aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen.
Weitere Unterstützung bei der Umsetzung von digitalen Projekten finanziell oder durch Knowhow erhalten mittelständische Unternehmen u.a. auch von dem Netzwerk „Enterprise Europe Network (EEN) der Europäischen Kommission“(4), der IHK(5) und „BayernCloud“(6). Zudem wurden im März 2020 von der EU-Kommission neue Mittelstands- und Industriestrategien mit klarem Fokus auf die Digitalisierung des Mittelstandes veröffentlicht.(7,8)
4.2. Zusammenarbeit mit Universitäten
Aus der Praxis
Die Zusammenarbeit der Schreiner Group mit einer Universität bei einem Projekt im Bereich KI führte zu einem deutlichen Gewinn an Know-how. So steuerte die Universität bei einer Machbarkeitsstudie entscheidendes Wissen bei, um den Einsatz neuer Technologien in neuen Produkten zu prüfen. Es umfasste die Wahl der Methoden und Algorithmen zum Anlernen der KI, die Tools für die Umsetzung der KI sowie die Machbarkeit der Lösungen mittels KI für (Sicherheits-) Produkte. Auch die gemeinsame Entwicklung von innovativen Lösungen ist eine Möglichkeit und wird von der Politik unterstützt.(9)
4.3. Zusammenarbeit mit Dienstleistern und Agenturen
Bei der Auswahl eines geeigneten Dienstleisters sollte zwischen den Partnern neben dem kaufmännischen Aspekt auch die Firmenkultur und die „Chemie stimmen“. Dies gilt insbesondere bei einer langfristigen Zusammenarbeit, z.B. bei digitalen Projekten im Kundenumfeld.
Grundlage für eine feste Zusammenarbeit mit einem Dienstleister ist ein Vertrag mit folgenden Inhalten:
- Leistungsumfang
- Kaufmännische Details (z.B. Vergütung, Kosten, Vertragsdauer, Haftung, Gewährleistung)
- Nutzungsrechte zu bereits existierenden Lösungen und Lösungen von Drittanbietern (Lizenzen)
- Urheberrechtliche Aspekte
- Geheimhaltungsregelungen
- Service- und Supportleistungen im Betrieb (Service Level Agreements, kurz SLA)
- Regelung zur Auftragsverarbeitung personenbezogener Daten insbesondere im Kundenumfeld
5. Die Umsetzung
5.1. Projektmanagement
Das Projekt sollte idealerweise mit einer agilen Projektmethode umgesetzt werden, um von Beginn an lauffähige Zwischenlösungen zu gewinnen. Hier gelten jedoch andere Rahmenbedingungen als bei klassische Projektmethoden, wie zum Beispiel beim Projektmanagement nach dem Wasserfallmodell, bei dem die Lösung erst am Projektende vorliegt. Viele Dienstleister und Agenturen arbeiten bereits nach agilen Methoden. Doch ganz gleich, welche Projektmanagement-Methode angewendet wird: Für beide Vorgehen muss ein Lastenheft erstellt werden, in dem die Anforderungen an die Lösung exakt beschrieben werden. Das Lastenheft unterstützt bei der Auswahl eines geeigneten Partners und ist die Grundlage für Machbarkeits- und Risikoanalysen zum Projekt.
5.2. Implementierung, Hosting, Betrieb und Support
Bereits vor den Vertragsverhandlungen mit dem Dienstleister muss mit der IT-Abteilung geklärt werden, wo die Lösung gehostet werden soll und wer im Betrieb welchen Support leistet. Entscheidend für die Akzeptanz der Lösung und den Projekterfolg sind die Benutzerschnittstellen. Diese sollten frühzeitig konzipiert, umgesetzt und mit den Usern getestet werden.
Je nach Projektart spielt die Einhaltung von Standards(10) und Sicherheitsaspekten eine mehr oder minder entscheidende Rolle bei der Umsetzung und im Betrieb. Sie sollten frühzeitig geklärt und eingebracht werden, um das Projekt nicht zu gefährden. Neue Anforderungen und Verbesserungsvorschläge rechtzeitig zu sammeln, vereinfacht die Planung von Verbesserungen und neuer Releases.
5.3. Schulung
Um die Akzeptanz der Lösung bei den Usern zu erhöhen, sollten Schulungen durchgeführt werden. Videotrainings sind besonders geeignet, denn die Filme sind jederzeit abrufbar und können wiederholt angeschaut werden. Dabei müssen es keine perfekten Profivideos sein.
Handelt es sich bei dem Projekt um eine digitale Anwendung für Kunden, muss zwingend auch der Vertrieb geschult werden. Nur wenn er die Anwendung und ihre Vorteile versteht, kann er diese dem Kunden vermitteln und die Lösung verkaufen.
6. Der Projektabschluss
Wurde das digitale Projekt erfolgreich abgeschlossen, sollte es allen Stakeholdern präsentiert und die gewonnenen Erfahrungen dargestellt werden. Dadurch können neue Einsatzmöglichkeiten und Ideen zur Digitalisierung identifiziert und das Knowhow weitergegeben werden.
Zusammenfassung und Tipps
- Erste digitale Projekte sollten nicht länger als 3-6 Monate dauern. So kann der Nutzen rasch verifiziert und Änderungen zeitnah vorgenommen werden.
- Bauen Sie auf bestehende Lösungen und Komponenten nach entsprechender Auswahl auf.
- Setzen Sie auf den Wissenstransfer und die Vernetzung mit externen Einrichtungen und Firmen.
- Nutzen Sie das interne Knowhow über Schwächen in Prozessen oder Bedürfnisse beim Kunden und setzen Sie bei den digitalen Projekten genau dort an.
- Denken Sie immer aus der Sicht des Kunden, egal ob interner oder externer Kunde.
- Digitale Projekte müssen vom Top-Management getragen werden. Nur so haben sie eine wirkliche Chance auf erfolgreiche Umsetzung, vor allem bei neuen Geschäftsmodellen.
- Versuchen Sie, mit digitalen Projekten zu begeistern – sei es durch den Einsatz neuer Technologien oder den Nutzen, der aus den Ergebnissen gewonnen wird. Jedes Projekt dient als Vorlage für ähnliche Vorhaben und bringt das Unternehmen voran.
(1) Mittelstand digital – Unterstützung bei allen Fragen zur Digitalisierung für den Mittelstand
(2) Transfer-Netzwerk Industrie 4.0, 2020
(3) Fraunhofer-IAO, kein Datum
(4) Enterprise Europe Network (EEN), kein Datum
(5) Innovation – IHK, kein Datum
(6) BayernCloud, 2020
(7) Pressemitteilung: Eine neue Industriestrategie für ein weltweit wettbewerbsfähiges, grünes und digitales Europa, 2020
(8) Pressemitteilung: Eine KMU-Strategie für ein nachhaltiges und digitales Europa, 2020
(9) Bayerische Forschungs- u. Innovationsagentur, kein Datum
(10) Normen und Standards für die digitale Transformation – Werkzeuge, Praxisbeispiele und Entscheidungshilfen für innovative Unternehmen, Normungsorganisationen und politische Entscheidungsträger – herausgegeben von Mangelsdorf, Axel und Weiler, Petra, 2019