Digital Patient Health und automatisierte Prozesse im Krankenhaus gewinnen zunehmend an Bedeutung. Dabei übernehmen RFID-basierte Lösungen eine wichtige Rolle. Über die neuesten Entwicklungen sprechen Frederic Vicentini und Sylvia Kaiser-Kershaw von unserem RFID-Partnerunternehmen NXP® Semiconductors, und Arne Rehm von Schreiner MediPharm.

Was sind die wichtigsten Trends bei RAIN-RFID und seiner Verwendung für pharmazeutische Produkte?

Frederic Vicentini, NXP (FV): RAIN-RFID, also die UHF-basierte RFID-Technologie gemäß der RAIN-Branchenallianz, bietet große Chancen zum lückenlosen Tracken und Rückverfolgen von Medikamenten und medizinischem Verbrauchsmaterial auf Unit Level – von der Herstellung über die Lieferkette bis hin zum Abgabeort, z.B. im Krankenhaus. Es ermöglicht eine einfache Bulk-Auslesung mit hoher Reichweite, Serialisierung und ein automatisiertes, präzises Bestandsmanagement in Echtzeit. Dies hilft Fehler zu reduzieren, erleichtert Rückrufe und ermöglicht das automatische Wiederauffüllen im Krankenhaus. Zugleich wird die Transparenz pharmazeutischer Produkte in der gesamten Supply Chain signifikant verbessert. Die Vorteile zeigen sich anhand konkreter Zahlen. So entstehen etwa laut UnitVisID Einsparungen von 50.000 $ pro Jahr in einer medizinischen Einrichtung mit mehr als 1.000 Betten. Die Aufstockung des Bestands erfolgt fehlerfrei und etwa 90 % schneller als bei manuellen Prozessen. Dank der erhöhten Transparenz des Bestandsmanagements gibt es weniger Verschwendung und es können 1-3 % der Medikamentenausgaben eingespart werden.

Arne Rehm, Schreiner MediPharm (AR): Ein wesentlicher Trend ist die Kennzeichnung von Produkten mit einem RFID-Etikett direkt beim Pharmahersteller in dessen Produktionsprozess (Source Tagging) und nicht erst manuell im Krankenhaus oder in der Apotheke. Dies trägt erheblich zur Optimierung der Prozesse bei und ermöglicht einen einfacheren und effizienteren Einsatz von automatisierten Bestandsverwaltungssystemen. Ohne zusätzlichen Arbeitsschritt können Medikamente in Spritzen, Vials oder anderen Primärcontainern leicht in größeren Mengen ausgelesen werden. Das Source Tagging stellt besondere Anforderungen an das Etikett und wird vor allem durch die flexible, jedoch besonders widerstandsfähige Konstruktion unseres Robust RFID-Labels erst ermöglicht, das die zuverlässige RFID-Funktionalität von Produktion bis Endanwendung unterstützt.

Was sind die wichtigsten Treiber für die Einführung von NFC im Gesundheitswesen?

Sylvia Kaiser-Kershaw, NXP (SKK): Generell gibt es einen zunehmenden Trend zu Konnektivität. Die Akzeptanz von Smartphones für kontaktlose NFC-Anwendungen stieg besonders während der COVID-Pandemie stark an. ABI Research prognostiziert ein Wachstum der installierten Basis von NFC-fähigen Geräten auf 5,9 Milliarden in 2028. Was das Gesundheitswesen betrifft, spielt der wachsende Trend zur häuslichen Pflege und Selbstmedikation, insbesondere von Biopharmazeutika, eine große Rolle. Hier sind Lösungen zur Verbesserung der Patientensicherheit und Adhärenz gefragt, beispielsweise Devices zur Medikamentenverabreichung mit Cloud-Konnektivität, um die Therapietreue von Patienten und regelmäßige korrekte Medikamenteneinnahme zu unterstützen. Die Entwicklung betrifft Single-Use versus Multi-Use Devices sowie vernetzte Add-Ons versus integrierter Konnektivität. Auch nehmen gefälschte, manipulierte und abgezweigte Produkte deutlich zu und stiegen laut PSI (Pharmaceutical Security Institute) zwischen 2020 und 2021 um 38 %. Pharmahersteller suchen nach einem sicheren Nachweis der Authentizität auch für Patienten und Endanwender. NFC ermöglicht eine einfache und eindeutige Echtheitsprüfung via Smartphone und bietet weitaus mehr Sicherheit als ein optischer Code, da Massenkopien verhindert werden.

AR: Die besondere Bedeutung der Medikation zu Hause kann ich nur unterstreichen. Insbesondere bei chronischen Krankheiten kommen viele neue Therapien auf den Markt, die nicht mehr beim Arzt oder in einer Klink verabreicht werden. Dadurch entsteht ein wachsender Bedarf, die Patienten für eine erfolgreiche Behandlung zu unterstützen. Dies beginnt mit einer einfachen Möglichkeit, Informationen zur Anwendung eines Produktes bereitzustellen, ein digitales Tagebuch zu führen und bei bestimmten hochwertigen Medikamenten deren Echtheit zu prüfen. Allerdings kann das nur erfolgreich funktionieren, wenn diese Unterstützung für den Patienten einfach zugänglich und leicht anwendbar ist. Dies ist über NFC in Verbindung mit dem Smartphone möglich oder über smarte Devices, die mithilfe eines integrierten NFC-Readers und getaggter Verbrauchsmaterialien Prozesse automatisieren.

Sie haben neue ICs (Mikrochips) mit Sicherheitsfunktionen auf den Markt gebracht – welche sind das und was sind die Vorteile?

SKK: Die zertifizierte NTAG® 424 DNA-Chip-Produktlinie von NXP bietet erweiterte NFC-Sicherheitsmerkmale für einen besonders hohen Schutz: AES(Advanced Encryption Standard)-128-Kryptographie und webbasierte SUN (Secure Unique NFC)-Nachrichtenauthentifizierung für dynamische, gesicherte NFC-Nachrichten bei jedem Auslesen des NFC-Smartphones, um das massenhafte Kopieren zu verhindern. Für eine automatisierte Offline-Authentifizierung in einem Gerät kann ein Mechanismus zur gegenseitigen Authentifizierung sicherstellen, dass nur ein authentifiziertes Lesegerät auf sensible Tag-Daten zugreifen kann, um sie vor unbefugtem Zugriff oder Modifizierung zu schützen. Zum Schutz der Privatsphäre können verschlüsselte oder randomisierte Tag IDs verwendet werden. Der kürzlich eingeführte Single-Chip-NFC-Mikrocontroller PN7642 von NXP bietet einen hohen Integrationslevel und geringen Platzbedarf, um Konnektivität, Datenverarbeitung und Sicherheit selbst in kleinen Drug Devices zu ermöglichen. Hersteller erhalten damit einen Echtheitsnachweis zur effektiven Erkennung von Fälschungen. So erlangen sie auch mehr Transparenz über die Produktverwendung auf dem Markt sowie unregelmäßige Warenströme und sonstigen Missbrauch.

FV: Für RAIN-RFID Lösungen bietet NXP den UCODE® DNA TRACK an: UHF-Tags mit kryptografischer Sicherheit und einer großen Lesereichweite von bis etwa 10 Metern, abhängig von der Umgebung und den verwendeten Lesegeräten. Damit lässt sich während der automatischen Bestandsverwaltung die Originalität auf Unit Level oder pro Verpackung bzw. Palette verifizieren und die Sicherheit innerhalb der Supply Chain gewährleisten.

AR: Gerade für solche Produkte ist natürlich auch die Realisierung dieser Echtheitsmerkmale und deren Integration in kundenspezifische Labels von hoher Bedeutung. Dies reicht von der sicheren Produktionsumgebung bis hin zur kryptografischen Programmierung, die wir als spezialisierter Labelhersteller bieten können.

Was sind die aktuellsten Entwicklungen in Bezug auf Ihre neuen Sensor-ICs, also Sensoren in Form von Mikrochips?

SKK: Unser Ziel ist es, Technologien zu entwickeln, die vernetzte Produkte sicherer, intelligenter und effizienter machen. Mit Konnektivität, Zustandserfassung und Datenverarbeitung sowohl auf dem jeweiligen Gerät als auch in der Cloud. Unsere NTAG 22x DNA Status Detect Tags mit kapazitiven Strukturen verfügen über eine einfache passive Sensorfunktion, die es ermöglicht, eine Kapazitätsänderung zu messen. Beim NFC-Auslesen kann ein solcher Tag einen Wert erzeugen, der eine Manipulation erkennbar macht, wenn seine konfigurierten Grenzwerte überschritten werden, um eine Erstöffnungs-Statusinformation zu liefern. Oder der Sensor-Tag erfasst bei einer Abfrage eine kapazitive Änderung einer Umgebungsbedingung, die von einer Softwareanwendung interpretiert werden kann. Dies kann zur Messung des Füllstands von Flüssigkeitsbehältern oder zur Erfassung mechanischer Bewegungen in medizinischen Geräten, zur Überwachung der Medikamenteneinnahme oder zum Nachweis der Adhärenz bei klinischen Studien eingesetzt werden. Darüber hinaus bietet unser NTAG SmartSensor (NHS3100) eine semiaktive Sensorlösung (Anm.d.R.: benötigt zum kontinuierlichen Monitoring eine Batterie) mit integriertem Mikrocontroller, einem eingebauten Temperatursensor und großem Datenspeicher. Dieser Sensor kann bei intelligenten Blisterverpackungen zum Tracken der Pillenentnahme oder zur Kühlkettenüberwachung von temperaturempfindlichen Medikamenten eingesetzt werden.

Corona und weitere Faktoren haben sich stark auf die Lieferketten ausgewirkt, insbesondere bei Halbleiterprodukten – wie bewerten Sie die aktuelle und zukünftige Situation?

FV: Wir sehen weiterhin eine wachsende Nachfrage nach RFID/NFC-Technologien. Bei NXP haben wir diverse Schritte unternommen, um die Kapazitäten bei Fertigungs-Partnern und in eigenen Produktionsstätten weiter auszubauen. Außerdem erweitern wir unsere Test- und Verpackungsaktivitäten, um Lieferengpässe zu verringern und Lieferzeiten zu verbessern. Wir stehen in engem Kontakt mit unseren Kunden zur frühzeitigen Abstimmung von Prognosen und Bedarf, um ihre Versorgung sicherzustellen. Diese Transparenz hilft uns bei der Kapazitätsplanung und der zuverlässigen Auftragsabwicklung.

Was sind die wichtigsten Entwicklungen der letzten und kommenden Jahre im Hinblick auf den Einsatz im Gesundheitswesen?

SKK: Die Sicherheit und Benutzerfreundlichkeit medizinischer Geräte wird immer wichtiger. Immer mehr Patienten profitieren von einer intelligenten, vernetzten Versorgung zu Hause, um beispielsweise die Therapietreue zu verbessern, während Krankenhäuser von der Fehlerreduzierung durch Automatisierung profitieren. Ein Gerät wie ein Injektor oder eine Infusionspumpe, das mit einem NFC-Reader versehen ist, kann die Daten des mit einem NFC-Tag ausgestatteten Verbrauchsmaterials automatisch auslesen. Gespeicherte Chip-Daten können die Verwendung gefälschter, falscher oder abgelaufener Medikamente und die Wiederverwendung leerer Verbrauchsmaterialien verhindern. Außerdem können sensorische Rückmeldungen helfen, Dosierungs- oder Anwendungsfehler zu vermeiden. Denn es können wertvolle Kontextdaten über Erstöffnung, Füllstand, Temperatur und mehr erfasst werden. Eine sichere Offline-Authentifizierung ist mit kryptografisch gesicherten Verbrauchsmaterial-Etiketten und Lesegeräten mit sicherer Schlüsselspeicherung möglich Persönliche Geräte machen sich die zunehmende Verwendung von Smartphones zunutze, indem sie z.B. Daten über BLE (Bluetooth Low Energy) direkt an das Telefon des Patienten senden, um sie in einer App zu verarbeiten oder an eine in der Cloud gehostete Datenbank zu übertragen. Wichtige Informationen wie Dosierung, Datum und Uhrzeit können über automatisierte Funktionen erfasst und nachverfolgt werden. Mit Hilfe von Benachrichtigungen können Patienten daran erinnert werden, wann die nächste Dosis fällig ist.

Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit mit der Schreiner Group?

FV: Die Schreiner Group ist ein wichtiger Partner, der als Innovationstreiber neue Lösungen für die Herausforderungen der jeweiligen Branche findet – oft unter Einsatz neuester IC-Technologien von NXP. Etwa manipulationssichere Sicherheitsetiketten, die digitale und mechanische Eigenschaften kombinieren. Das Unternehmen verfügt über ein eigenes Designlabor, um die Entwicklung neuer Prototypen und Design-Ins zu erleichtern, wie etwa gedruckte Antennen und anspruchsvolle Embedded Designs. Zudem besteht eine ausgeprägte Expertise im Bereich Sicherheitsdruck für den Einsatz von kryptografischen Authentifizierungs-ICs, einschließlich sicherer Tag-Kodierung und Trust Provisioning für NFC und RAIN-RFID Tags. Die umfassenden Kenntnisse über Branchenvorschriften und Compliance-Themen helfen, die Kunden bei Zulassungsprozessen zu unterstützen.